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Freitag, 24. Juli

created Sep 7th 2014, 14:59 by


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Freitag 24. Juli.  
 
Die Sonne scheint endlich wieder ungetrübt, nachdem sie sich einige Tage nicht hat sehen lassen. Mein Kopf ist schwer von allerlei Gedanken über mein Leben und meine Zukunft.
Zukunft. Welch ein großes Wort, das für mich so wenig Bedeutung in sich trägt! Ich lümmle auf meinem Bett herum, ein Buch in der Hand und merke, wie wenig ich, von dem was ich lese, verstehe. Nicht weil ich mich an Lektüre versuche, die so viel größer ist, als ich zu erfassen vermag, sondern weil mein Kopf einfach voll ist mit Gedanken, die sich nicht bändigen lassen wollen.
Also tun wir, was wir so oft schon getan haben, wenn der Kopf schier platzt und niemand da ist, der sich auch nur im geringsten dafür zu interessieren scheint. Man schreibt. Aber wie soll es beginnen?
Wie soll man es schaffen, jemanden damit zu fesseln und ihn dazu bringen weiter lesen zu wollen? Gar nicht so einfach wie ich mir vorgestellt hatte.
Selbst der Titel zu diesem Bericht oder Roman oder wie auch immer man das nennen will, was mir hier aus den Fingern fließt, bereitet mir Schwierigkeiten.
Vermutlich sollte ich wohl doch besser die Finger davon lassen und mich wieder meinem Buch widmen. Diejenige, die dieses geschrieben hat, versteht wenigstens was vom Schreiben. Ganz im Gegensatz zu mir...
Sonntag,09. August. Das Wetter hat sich meiner Stimmung in der Zwischenzeit angepasst. Es ist trübe und regnerisch. Ich überlege mir seit Tagen ob und wie ich diese Geschichte schreiben soll. Und ein Titel muss auch noch her. Aber es langt nicht einmal zu einem Arbeitstitel, unter dem man das ganze laufen lassen könnte...
Der eine hat es, der andere eben nicht. Ich bin eindeutig die andere Sorte. Doch die trüben und schweren Gedanken sind noch immer präsent. Sie bohren sich durch mich hindurch, fressen all meine Energie auf, die ich so mühsam aufzubauen versuche.
Lach doch mal wieder!“ sagte Tanja eine gute alte Freundin neulich als ich sie nach langer Zeit mal wieder getroffen hatte.
Ich sah sie aus leeren Augen an, meinen Mund zu einer Grimasse verzogen, die ein Lächeln sein sollte. Tanja sah mich skeptisch bis entsetzt an, schwieg aber. Überhaupt schwiegen wir mehr als wir redeten. Es hatte sich etwas geändert. Grundlegend. Doch wir wollten es uns nicht wirklich eingestehen.
Ich saß neben ihr auf dem Sofa einem gemütlichen alten Teil, das seine besten Tage schon lange hinter sich gehabt hatte und sah sie an. Unmerklich klein und zart lief mir eine Träne die Wange herab. Ich konnte mir das nicht erklären. Zwar war meine Stimmung katastrophal doch nicht so abgründig, dass ich in eine solche leere hätte stürzen können, wie sie mich plötzlich und unerwartet einnahm.
„Halt mich. Bitte. Ganz fest,“ sagte ich zu ihr und noch mehr Tränen rannten mir über das Gesicht.
Tanja sah mich entsetzt an, schwieg aber. Nach einer kurzen Weile, in der sie zu überlegen schien was sie tun sollte eine Zeit, die mir erschien als vergingen Stunden rückte sie zu mir heran und nahm mich in den Arm. Ich legte meinen Kopf auf ihre ausladende Brust. Es tat gut. Ich fühlte mich geborgen. So geborgen und beschützt wie lange nicht mehr.
Ich weiß nicht zu sagen wie lange wir so saßen. Doch das war auch nicht wirklich wichtig. Wichtig war allein die Tatsache, dass mich jemand verstand und ich nicht mehr alleine war.
Doch leider verebbte dieses Gefühl sehr schnell. Ich war gerade mal eine oder zwei Stunden zu Hause, da hatte mich diese Trostlosigkeit und Leere wieder eingeholt. Das war vor drei Tagen. Nun sitze ich hier und grüble vor mich hin, was in meinem Leben nur so furchtbar hatte schief gehen können.
Nun, jedenfalls ist mir endlich ein Titel eingefallen. Ich werde diese Geschichte, die die Geschichte meines Lebens ist, >Tagebuch des Untergangs< nennen.
Vielleicht nicht gerade sehr originell, doch besser als gar keinen Titel zu haben. Und wenn es ein Trost sein kann, es kann ja auch der Arbeitstitel des ganzen sein. Möglich es kommt noch eine bessere Idee während des Schreibens.
Nun, sei´s drum. Ich werde beginnen meine Geschichte zu erzählen. Dazu allerdings muss ich etwas ausholen und in die Vergangenheit zurück gehen. Doch welche Geschichte die erzählt wird ist nicht Vergangenheit ?
Der Tag war lang und anstrengend. In der Halle zwei, in der ich heute zu arbeiten hatte fiel die Klimaanlage aus und die Techniker versuchten ihr möglichstes, um sie wieder zum laufen zu bringen. Aber schließlich mussten sie uns zu ihrem Leidwesen gestehen, sie könnten sie nicht wieder in Gang bekommen, ehe gewisse Ersatzteile nicht geliefert wären.
„Was genau ist denn verreckt“, wollte ich wissen?
„Die Steuerplatine hat nen Hau weg. Karl kann nix machen. Hat keine Reserve und auch nicht die Teile da, was zu fummeln. Muss neu beschafft werden. Aber nach zehn Jahren kann da schon mal was verrecken, oder?“
Ralf grinste und ging hinüber in die Werkstatt, wo er und seine Kollegen von der Technik an irgend welchen Maschinenteilen herumschraubten.
Ralf, ein typischer Rheinländer, dem nichts so schnell die gute Laune verderben konnte, war einer der Kollegen, die ich vom Technikerstab am meisten schätzte. Ich hatte im April in der Firma angefangen und alle, mit denen ich an den Maschinen zu tun hatte, mochten mich. So hatte ich wenigstens den Eindruck.
Nun, Ralf war einer der Techniker die gerne bereit waren etwas zu erklären und den Leuten denen er vertraute auch einiges beibrachte. Ich war einer von diesen Leuten. Natürlich lernte ich auch von den Kollegen an der Linie vieles. Ich war neugierig und begierig darauf zu erfahren, wie etwas funktionierte mit dem ich zu tun hatte. Nur für den Fall, dass es einmal nicht mehr funktionieren sollte.
Ralf war der Auffassung man sollte den Leuten an der Linie genug Wissen vermitteln, so dass sie in der Lage sind, sich auch selbst zu helfen, wenn gerade kein Techniker Zeit hatte zur Produktionslinie zu kommen.
Mich persönlich erfüllte es immer wieder mit Genugtuung, wenn ich mir selbst zu helfen vermochte. Auch wenn es nicht immer leicht gewesen ist. -
Die Klimaanlage lief also nicht. Gegen acht Uhr früh hatte es schon gut fünfundzwanzig Grad in dem Bereich wo wir arbeiteten.
Mir war eigentlich nicht nach Unterhaltung. Aber meine Kollegin hatte leider wieder ihren schwatzhaften Tag. Glücklicher Weise ein Freitag heute. Meine Gedanken schwebten schon der Unterkunft zu und der schönen kühlen Dusche, die zu geben ich mir vorgenommen hatte als ich am Morgen aufgestanden war.
„Was hast du am Wochenende vor,“ fragte Verena und sah mich erwartungsvoll mit ihren himmelblauen Augen an.
Ich blickte nur kurz auf und zuckte mit den Schultern.
„Willst du nicht mehr mit mir reden oder was?“ Sie schien mir leicht beleidigt zu sein.
Die Maschine blieb stehen und somit auch das Förderband auf das wir Flaschen aufstellten. Ich wollte wissen was wohl schon wieder passiert sein konnte und blickte zur Füllmaschine, die getrennt durch eine mit großen Fenstern durchsetzte Wand in der Halle stand.
Ganz am Ende der Halle befand sich eine Maschine, die die Kartons mit Fertigware auf Paletten packte. Diese streikte und so blieb alles stehen.
„Scheint als hätten wir jetzt etwas Zeit. Willst du mal was trinken oder eine durch die Lunge ziehen? Ich schaff das wenn es weiter geht auch kurz mal alleine.“
Verena machte einen Schmollmund eine süße Angewohnheit von ihr, wenn sie über etwas sehr intensiv nachdachte oder zumindest vorgab dies zu tun. Sie nickte nach einigen Augenblicken nur kurz und war auch schon verschwunden.
Nun war ich mit meiner Arbeit die sich im Moment ausruhte und meinen Gedanken allein. Mal wieder.
Ich überlegte mir ernsthaft was ich dieses Wochenende wohl anstellen könnte? Mein Blick wurde starr. Ich stierte in meinen Flaschenkarton und sah nur diese scheiß weißen Flaschen. Aber ich nahm sie gar nicht wirklich wahr.
Schließlich kam Verena zurück. Ich bemerkte, dass sie mich etwas besorgt ansah und versuchte mir ein Lächeln oder wenigstens ein Grinsen aufs Gesicht zu zaubern. Aber der Versuch blieb halbherzig.
„Frag nicht,“ sagte ich leise zu ihr, als ich bemerkte sie wollte mich fragen was los sei. Wie hätte ich ihr das auch erklären sollen ? Wie erklärt man sich wenn man tot unglücklich ist und eine der Ursachen einem direkt gegenüber sitzt ? Acht Stunden am Tag, fünf Tage die Woche und das schon ganze drei Wochen lang, ohne auch nur die Spur einer Ahnung, wie lange dies wohl noch so weiter gehen würde. Dein Gott sei der Schichtleiter! Deine heilige Schrift der Schichtplan. Unabänderlich. Gnadenlos. Die Hölle auf Erden oder die himmlische Glückseeligkeit! Je nachdem wohin ihre Gnaden Schichtleitung beschlossen hatte dich hinzustellen.
Und mich geruhten sie an die Linie acht zu stellen. Zusammen mit Verena...
Ich war gerade von meinem Zwischenurlaub Überstunden und drei Tage Resturlaub, der genommen werden musste zurück gekommen und hatte meinen ersten Arbeitstag beinahe beendet.
Ein langweiliger aber immerhin ruhiger Job war mir zugeteilt worden, nämlich den Flaschenkeller zu befüllen. Man reißt sich dabei kein Bein aus, hat aber dennoch gut zu tun.
Gerade als ich mich so auf meinen Stuhl lümmelte und überlegte, ob ich noch Vorbereitungen für den Kollegen der zweiten Schicht machen sollte, kam Verena.
Eins Fünfundsiebzig, schlank, strahlend blaue Augen und ein Lächeln, das jeden Eisblock hätte schmelzen lassen. Ihr Gesicht war blass wie weißer Marmor, was ihre schmalen roten Lippen besonders betonte. Sie hatte eine zierliche Nase und die Augen saßen wie vom Bildhauer gemacht perfekt. Man konnte an diesem Gesicht einfach nichts finden, das einem nicht sofort gefallen hätte.
Einige Augenblicke stand sie da und betrachtete mich. Zunächst hatte ich sie gar nicht gesehen, so in Gedanken versunken war ich.
 

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